Die Digitalisierung ist seit vielen Jahren ein großes Thema. Es gibt viel Expertenwissen dazu. Aber warum wird in so vielen Projekten nur Geld verbrannt?
Die Digitalisierung ist seit vielen Jahren ein großes Thema. Es gibt viel Expertenwissen dazu. Aber warum wird in so vielen Projekten nur Geld verbrannt?

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Digitalisierung = Geldverbrennung?

7 Min.

Die Digitalisierung ist seit vielen Jahren ein großes Thema. Es gibt viel Expertenwissen dazu. Aber warum wird in so vielen Projekten nur Geld verbrannt?

Ich bin immer wieder überrascht, wenn ich in den Medien Berichte zum Thema Digitalisierung lese, die mit dem Bild eines Roboters eingeleitet werden. Und noch irritierter bin ich, wenn es in dem Bericht darum geht, dass Menschen durch Maschinen ersetzt werden sollen.

Eine Begriffsklärung scheint mir daher zunächst angebracht, denn es geht in diesen Fällen um Themen, die eher unter den Begriffen Automatisierung und Robotik zu subsumieren sind: Ein (Teil-)Arbeitsvorgang soll ohne die Mitwirkung von Menschen durchgeführt werden oder Maschinen ersetzen die menschliche Interaktion mit Systemen.

Bei Digitalisierungsprojekten geht es in einem ersten Schritt darum, das, was Ihre Mitarbeitenden „produzieren“, in digitaler Form für die Weitergabe und Weiterverwendung verfügbar zu machen. Dieser Prozess wird in der englischen Sprache als „digitisation“ bezeichnet.

Im zweiten Schritt geht es darum, digitale Technologien und digitalisierte Daten in Ihren Prozessen so einzusetzen, dass z. B. Ihre Mitarbeitenden „auf Knopfdruck“ von ihren „internen Lieferanten“ alles bekommen, was sie brauchen, um ihre Arbeit gut machen zu können. Dieser Prozess wird im Englischen als „digitalisation“ bezeichnet.

Am Rande bemerkt: Die „digitale Transformation“ geht einen deutlichen Schritt weiter. Hier geht es darum, die Auswirkungen der Digitalisierung auf das eigene Geschäftsmodell/ Produktpolitik zu antizipieren und proaktiv zu gestalten.

Anwendungsfelder

Heutzutage gibt es Software und Apps für so ziemlich alles, was Ihre Mitarbeiter tun sollen: Um

  • Kundendaten zu speichern und für Vertrieb und Marketing zu verwenden,
  • Material zu beschaffen, zu lagern und versenden,
  • Personaldaten und Arbeitszeiten zu erfassen und Löhne und Gehälter zu berechnen,
  • Rechnungen zu schreiben, zu verbuchen und zu bezahlen und vieles mehr.

Spannend und anspruchsvoll wird es, wenn die vielen Anwendungssoftwareprogramme richtig miteinander kommunizieren sollen. Plakativ formuliert:

  • Wenn die von Person “A” eingegebenen Kundendaten
  • von Person “B” zur Erstellung eines Angebots verwendet werden,
  • “C” das Angebot später per Knopfdruck in einen Auftrag umwandelt,
  • “D” den zukünftigen Materialbedarf errechnet bekommt und einen Einkaufsvorgang startet,
  • “E” aufgrund des Auftrags den Warenversand auslöst,
  • “F” daraufhin die Rechnung erstellt,
  • “G” die Rechnung verbucht,
  • “H” den (fehlenden) Geldeingang angezeigt bekommt usw.

Wir sprechen hier von „Enterprise-Resource-Planning (ERP)“-Systemen.

Kosteneinsparungspotenziale

Wie Sie dieser Zusammenstellung auf computerweekly.com entnehmen können, sind die Investitionskosten für ERP-Systeme für den Mittelstand durchaus nicht unerheblich, um die Einsparpotenziale ausschöpfen zu können. Hinzu kommen die individuellen Anpassungen an die Bedürfnisse Ihres Unternehmens und nicht zuletzt die Kosten, die in Ihrem Unternehmen selbst anfallen – z. B. die in das Projekt eingebundenen Mitarbeiterkapazitäten.

Was die Einsparung von Personalkosten betrifft, so ist es meiner Erfahrung nach eher selten, dass man aufgrund von reinen Digitalisierungsprojekten Personal entlassen kann. Es ist eher so, dass man etwas länger wachsen kann, ohne zusätzliches Personal einstellen zu müssen.

Die eigentlichen Einsparungen ergeben sich, weil Sie kostspielige Fehler durch unzureichende Informationsweitergabe minimieren können. Und weil Sie die Grundlage dafür schaffen, unproduktive und wertvernichtende Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten im Unternehmen leichter zu erkennen, zu analysieren und gegebenenfalls mit Anpassungen der Produkt-, Preis- und Marketingpolitik sowie der Ablauforganisation darauf zu reagieren.

Return on Investment

Es ist wohl ein offenes Geheimnis, dass sich die hohen Investitionskosten in den seltensten Fällen rechnen – vorausgesetzt, man hat den Mut, sich diese Rechnung im Nachhinein „anzutun“.

Zum einen, weil die tatsächlichen Projektkosten/-dauern in der Regel deutlich höher/langer sind als ursprünglich von Ihnen prognostiziert.

Vor allem aber, weil ERP-Systeme nach und nach zu verstaubten und schlecht gepflegten „digitalen Aktenschränken“ verkommen. Von Kosteneinsparungen durch effiziente digitale Kommunikation zwischen Abteilungen und Unternehmensbereichen kann dann keine Rede sein.

Warum ist das so und was können Sie dagegen unternehmen?

Ursache 1: Ein systemimmanenter Fehler wird digitalisiert und damit in die Abläufe einbetoniert

Ich möchte Ihnen dieses Phänomen anhand eines Gleichnisses veranschaulichen.

Ihr Mitarbeiter hat immer wieder heftige allergische Reaktionen und muss schnell ins Krankenhaus zur ambulanten Behandlung. Nach und nach haben immer mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter allergische Reaktionen. Aus diesem Grund schließen Sie mit einem Taxiunternehmen eine Vereinbarung über einen Shuttle-Service zum Vorzugstarif für Großkunden ab. Das senkt Ihre Transportkosten.

Diese Kosteneinsparungen sind real und können berechnet werden. Die Höhe der Kosteneinsparungen ist jedoch völlig irrelevant, denn wenn Sie herausfinden, wogegen Ihre Mitarbeiter/innen allergisch sind, und die Ursache beseitigen, können Sie sich das alles sparen.

Zuletzt habe ich dieses Phänomen in einem Unternehmen mit Dutzenden von Vertriebsmitarbeitern erlebt. Es gab eine ungewöhnlich hohe Mitarbeiterfluktuation – Gerichtsverfahren und Ähnliches inklusive. Deshalb hatte das Unternehmen viel Geld in Software investiert, um Mitarbeiter schnell sperren, Abmahnungen und Arbeitszeugnisse schreiben und die Personalbuchhaltung flexibilisieren zu können. Darüber hinaus wurden feste Schnittstellen zum Datenaustausch mit einer Anwaltskanzlei und einem Personaldienstleister eingerichtet.

Es lag an mir, die richtigen Worte zu finden, um das Management auf diesen banalen Zusammenhang aufmerksam zu machen: All die Ausgaben, die man durch die Investitionen zu senken versuchte, waren zu einem großen Teil auf das miserable Führungsverhalten des Top-Managements zurückzuführen!

Ein weiteres typisches Beispiel für dieses Phänomen sind Call-Center-Lösungen, mit denen die hohe Anzahl von Kundenbeschwerdeanrufen bewältigt werden soll, anstatt die eigentlichen Ursachen der Kundenbeschwerden zu untersuchen und zu beseitigen.

Ursache 2: Schlechte Prozesse werden digitalisiert und damit einbetoniert.

Noch ein Gleichnis: Ihre Putzfrau füllt den Eimer mit heißem Wasser und gibt Reinigungsmittel hinzu. Sie beginnt, das Waschbecken im Badezimmer zu reinigen. Sie unterbricht den Reinigungsvorgang, um in einem anderen Raum etwas anderes zu tun. Als sie ins Bad zurückkommt, ist das Wasser wieder kalt und das Waschbecken in der Zwischenzeit wieder schmutzig geworden. Also fängt sie wieder von vorne an.

Sie können für Ihre Putzfrau Rollschuhe kaufen, damit sie schneller von Zimmer zu Zimmer kommt. Sie können die Wassertemperatur im Eimer mit Sensoren messen, auswerten und akustische Signale an die Putzfrau geben, oder, oder. Aber all das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es überhaupt keinen Sinn ergibt, dass die Putzfrau so arbeitet, wie sie arbeitet!

Nach meiner Beobachtung sind mittelständische Unternehmen nicht nur mit stark optimierungsbedürftigen Abläufen übersät, …

… sie zahlen sogar viel Geld an die beauftragten Softwarehäuser, um deren Standardsoftwarelösungen individuell anpassen zu lassen, d. h. diese wenig sinnvollen Abläufe eins zu eins abbilden zu lassen.

Ursache 3: Es besteht Uneinigkeit darüber, was mit einer (zu digitalisierenden) Aktivität erreicht werden soll.

Ihre Putzfrau steht nun vor dem Bücherregal und möchte es abstauben. Sie kann von außen grob darüber gehen oder alternativ jedes einzelne Buch herausnehmen, abwischen und wieder zurückstellen. Es versteht sich von selbst, dass die Parameter Qualität und Aufwand in diesen beiden Fällen kaum unterschiedlicher sein könnten.

Wenn Sie ein pingeliger Mensch sind und blitzblank geputzte Regale erwarten, die Putzfrau aber nur grob wischt, werden Sie sich ständig darüber streiten, dass sie Ihrer Meinung nach keine gute Arbeit leistet.

Wenn Sie sich aber mit einer groben Reinigung zufrieden geben, sie aber jedes Buch einzeln reinigt, werden Sie sich ständig darüber streiten, dass sie viel zu lange braucht, nie fertig wird und deshalb viel zu teuer ist.

Unklare und widersprüchliche Rollenerwartungen sind die Hauptursache für Frustration, Demotivation und unproduktive Arbeitsabläufe.

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Noch ein anschauliches Beispiel: Sie können Sensoren an Ihrer Putzfrau anbringen, um ihre Bewegungen zu analysieren, Sie können Scan-Codes an den Büchern anbringen und einen Scanner in den Putzlappen integrieren, um die Anzahl der gereinigten Bücher zu überwachen, oder, oder, oder.

Aber was die Klärung der hier zwingend notwendigen Rollenerwartung betrifft, gilt leider: Thema verfehlt, setzen, sechs!

Fazit:

Bevor Sie auch nur einen Euro in weitere Digitalisierungs- oder Automatisierungsinvestitionen stecken, empfehle ich Ihnen, zunächst die tatsächlichen internen Prozesse zu erfassen und gemeinsam mit allen Mitarbeitenden zu optimieren. Zur Optimierung muss sich die (kritische Masse der) Gemeinschaft einig sein/werden:

  • Für wen genau wollen wir als Organisation mit unseren Produkten und Dienstleistungen was genau erreichen?
  • Verfolgen wir dabei eine Strategie der Qualitäts-, Kosten- oder Zeitführerschaft?
  • Was genau trägt die Tätigkeit einer Person zu dieser Unternehmensmission bei?
  • Wie lange brauchen wir dafür und was kostet uns das?

Wenn Sie sich dafür interessieren, wie ich arbeite und wie ich Sie unterstützen kann, verweise ich gerne auf mein Einführungsvideo:

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Um Ihre Prozesse & den Faktor Mensch in den Griff zu bekommen und Ihre Wirtschaftlichkeit nachhaltig zu steigern, benötigen Sie ein gutes Gespür für die Zusammenhänge der einzelnen Themen. In dem Beitrag “Menschen, nicht Software, optimieren Prozesse!” habe ich deshalb für Sie visualisiert, wie die Themen meiner bisherigen Fachbeiträge und Publikationen zusammenhängen. Schauen Sie doch mal rein!

Kommentare

1 Kommentar zu „Digitalisierung = Geldverbrennung?“

  1. Pingback: Rentabilität ist riskant & faktor-menschlich | Fachblog: Kourosh Ghaffari

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