Berufliche Veränderung: Wenn wir unseren Habitus beibehalten, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass wir im neuen Job die alten Probleme in neuem Gewand wiederfinden.
Berufliche Veränderung: Wenn wir unseren Habitus beibehalten, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass wir im neuen Job die alten Probleme in neuem Gewand wiederfinden.

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Berufliche Veränderung: Souveräne Entscheidung oder Flucht vor der Realität?

5 Min.

Berufliche Veränderung: Die Art und Weise, wie wir fühlen, denken und handeln, hat großen Einfluss auf die Realität, die wir vorfinden. Wenn wir unseren Habitus beibehalten, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass wir im neuen Beruf auf die alten Probleme in neuem Gewand stoßen.

Ein wichtiger Teil meiner Arbeit mit Existenzgründern dreht sich um das Thema “berufliche Veränderung”. Sei es, dass sich eine Führungskraft selbständig machen möchte oder eine neue berufliche Herausforderung sucht. Manchmal verbunden mit dem starken Wunsch nach räumlicher Veränderung – Auswanderung inklusive.

In den seltensten Fällen ist die Ausgangssituation so, dass mein Klient einfach Lust auf etwas Neues hat. In diesen seltenen Fällen kann ich ziemlich sicher davon ausgehen, dass sein Wunsch nach beruflicher Veränderung eine souveräne Entscheidung ist.

In der Regel ist die Motivation für eine berufliche Veränderung eine starke Unzufriedenheit mit dem Status quo: Die Arbeitsroutine langweilt. Oder der hohe Druck zehrt an den Kräften. Oder er leidet darunter, dass seine Kollegen oder sein Chef sich so und so verhalten. Oder, oder, oder. Kurz: Der Status quo ist für ihn nicht mehr erträglich.

In solchen Fällen werde ich hellhörig und würde mit ihm erst einmal klären wollen, ob es sich wirklich um eine souveräne Entscheidung handelt. Denn eine Flucht vor der Realität, sich endlich den eigenen “Baustellen” zu stellen, verzögert die eigentliche Problemlösung. Sie erschwert sie sogar! Warum ist das so?

Zur Beantwortung gehe ich exemplarisch auf die einzelnen Motive ein. Zu jedem Punkt nenne ich zur Veranschaulichung eine mögliche Ausprägung, damit Sie sich leichter ein eigenes Bild machen können. Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, dass es zu jedem Punkt mehrere mögliche Ausprägungen gibt.

Berufliche Veränderung, weil die Jobroutine langweilt?

Vielleicht ist Ihr Problem nicht, dass Sie diese Routine langweilt, sondern dass jede Routine Sie langweilen würde. Barbara Sher prägte den Begriff „Scanner“ für Menschen, die sich nicht auf ein einziges Lebensthema beschränken wollen, weil sie sich so vieles vorstellen können.

Dann ist ein Jobwechsel keine Lösung. Es sei denn, Sie haben einen seltenen Job in Aussicht, der Ihnen die nötige Vielfalt und Abwechslung bietet. Die Alternative könnte z. B. darin bestehen, einen eigenen Weg zu finden, die Vielfalt zu leben und sich mit der Tatsache zu arrangieren, dass ein (Haupt-)Job den Lebensunterhalt sichert.

Der Arbeitsdruck ist sehr hoch?

Kommt der Druck von innen, weil Sie sehr hohe Erwartungen an sich selbst haben? Dann können Sie leicht nachvollziehen, dass äußere Umstände wie ein neuer Job oder der Schritt in die Selbstständigkeit daran nichts ändern.

Wenn Sie Linderung wollen, werden Sie sich eines Tages mit dieser Frage auseinandersetzen müssen: Warum gehen Sie so rücksichtslos mit sich um?

Wenn der Druck von außen kommt, können Sie natürlich nicht wissen, ob andere in Ihrem neuen Beruf auch Druck auf Sie ausüben werden. Was Sie beeinflussen können, ist eine grundsätzlich andere innere Einstellung bzw. ein anderer Umgang mit Stress und Druck von außen. Hierfür gibt es einige nützliche Werkzeuge, die Sie sich bei Bedarf aneignen können.

Drückt der Kollege bei Ihnen ständig “auf die Knöpfe”?

Auch da hilft keine Flucht in eine neue Arbeit, denn die eigentliche Botschaft dahinter lautet:

»Was einen trifft, betrifft einen!«

Das ist einer der spannendsten Aspekte meiner Arbeit mit Menschen: Herauszufinden, was es genau ist, was einen betrifft und warum. Wenn man sich darüber im Klaren ist, kann man das eigentliche Thema gut angehen.

Das Ergebnis ist immer wieder verblüffend: Man sieht die gleiche Situation, die bisher zu einem “Ich habe so einen Hals” geführt hat, mit anderen Augen. Vielleicht ist es immer noch eine unangenehme und unerwünschte Situation. Aber plötzlich spüren Sie eine angenehme Distanz dazu. Die Situation geht Ihnen nicht mehr unter die Haut und Sie verlieren nicht Ihre Souveränität.

Last, not least, Ihr „geliebter“ Boss

Die oben genannten Punkte treffen natürlich auch hier zu, aber es gibt einige spezielle Aspekte, die in diesem Zusammenhang besonders häufig auftauchen, wie z. B. der Umgang mit Hierarchien und die Akzeptanz der Realität.

Wenn das Einordnen in Hierarchien Ihr eigentliches Thema ist, dann hilft Ihnen auch die Selbstständigkeit nicht weiter. Denn diese Rolle können Ihre zukünftigen Kunden mindestens genauso gut ausfüllen!

Zu den größten Hindernissen auf dem Weg zum eigenen Seelenfrieden gehört zweifellos die Schwierigkeit, die Realität so zu akzeptieren, wie sie ist. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn man sich z. B. fehlerfreie und perfekte Chefs oder Ähnliches wünscht. Um Missverständnissen vorzubeugen:

Die Realität so zu akzeptieren, wie sie ist, heißt nicht, dass man sie gutheißen muss! Plakativ kann man den Unterschied so erklären:

Sie haben sich einen sonnigen Tag gewünscht, um mit Freunden draußen zu sein. Nun stellen Sie fest, dass es regnet. Schade, aber das ist nun einmal die Realität. Wenn wir nun unser typisches Verhalten auf diese Situation übertragen, würden wir den ganzen Tag damit verbringen, über den Regen zu schimpfen.

Oder Sie akzeptieren die Realität (es regnet. Punkt) und überlegen sich, welche Möglichkeiten Sie haben: Mit oder ohne Schirm rausgehen? Zu Hause bleiben und Freunde einladen?

Ich hatte eingangs erwähnt, dass die Flucht vor der Realität die eigentliche Problemlösung nicht nur verzögert, sondern sogar erschwert. Warum ist das so?

Aus Ihrer bisherigen Arbeit kennen Sie bereits alle “Variablen”, z. B. die handelnden Personen und ihr typisches Verhalten. So können Sie sich auf das Erkennen und Bearbeiten Ihrer Baustellen konzentrieren.

In Ihrem neuen Job werden Sie mit neuen Variablen konfrontiert. Das Kennenlernen der neuen Variablen wird Priorität haben, denn Sie wollen sich integrieren. Ihre Baustellen müssen also warten.


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Kommentare

8 Kommentare zu „Berufliche Veränderung: Souveräne Entscheidung oder Flucht vor der Realität?“

  1. Pingback: Soll ich kündigen oder nicht | Valentina Levant Coaching

  2. Pingback: Berufliche Veränderung: Souveräne Entscheidung oder Flucht vor der Realität? – Fachblog: Kourosh Ghaffari | gruender.gbcc.eu

  3. Pingback: Soll ich kündigen oder nicht? - Valentina Levant

  4. Es ist verständlich, daß emotinale Probleme mit der Hierarchie sich alleine rein technisch und ohne qualifizierter Hilfe nicht lösen.

    Allerdings beschränkt sich das Problem dieser Personengruppe nicht ausschließlich auf ihr berufliches Umfeld.

    Da fällt mir das Beispiel des alleinstehenden Rentners ein, der sich ständig im Streit mit seinem Vermieter, Nachbarn, Schornsteinfeger etc. -die ihn zu Handlungen auffordern oder von Handlungen abhalten wollen- ein.

  5. Ich stimme Ihnen in fast allen Punkten zu.
    Ausnahme ist allerdings für mich folgende Aussage:

    “Wenn das sich Fügen in Hier­ar­chien das eigent­liche Thema ist, dann hilft noch nicht einmal die Selbst­stän­dig­keit. Denn Ihre künf­tigen Kunden können mindes­tens genauso gut diese Rolle besetzen! ”

    Die Selbständigkeit hat viele Facetten In einigen Formen spielt der einzelnen Kunde kaum eine Rolle, da der Kunde Sie nie zu Gesicht bekommt oder gar zu Gesicht bekommen möchte.

    Nehmen wir an, die Selbständigkeit beinhaltet das Betreiben einer oder mehrerer SB-Autowaschanlagen. Von einem Kunden wird ein Betreiber maximal nur dann angesprochen, wenn es Probleme mit der Waschanlage gäbe. Bei größeren Problemen leitet der Betreiber die Beschwerde/ Schaden direkt an seiner Versicherung weiter.

    Das Geschäft kommt ohne Hierarchien aus, mit der dieser frühere Angestellte nicht umgehen konnte.

    Auch für solche aus Ihrer Sicht hoffnungslosen Fälle gibt es berufliche Lösungen.

    1. Ein guter Punkt. Ich sollte daher ergänzen: Mir geht es hier nicht um eine räumliche, rechtliche oder ablauforganisatorische Sicht, sondern um die emotionale Wahrnehmung der betroffenen Person! Wie Sie richtig andeuten, auch im Angestelltenleben gibt es genügend Fälle, in denen man den Chef nie zu Gesicht bekommt. Aber das eine Rundschreiben von ihm reicht schon und für diesen Menschen, den ich hier vor Augen habe, ist der Tag gelaufen.

      Ich versuche den Leidensgrund so gut es geht zu formulieren: Es geht darum, dass ein anderer glaubt, sich aufgrund seiner Position das Recht herausnehmen zu dürfen, mir zu sagen, was ich zu tun und zu lassen habe. Dazu gesellt sich ein Gefühl von Ohnmacht, weil die Rolle der anderen Person ihr auch tatsächlich eine gewisse Macht genau dazu verleiht. Und zu guter Letzt: ich glaube auch noch, dass das, was die Person von mir will, falsch, unangemessen oder unangebracht ist.

      Wohl viele Menschen finden diese Kombination nicht wirklich prickelnd, aber die hier gemeinte Person leidet regelrecht darunter.

      Genau diese “Knöpfe” werden auch in Zukunft gedrückt, wenn er als künftiger SB-Autowaschanlagen-Betreiber einen Beschwerdebrief eines Kunden zu Gesicht bekommt, der eine unangemessene Erwartung formuliert. Und sie werden gedrückt, wenn ein Beamter ihm erklärt, dass seine Anlage um 0,02 mm die Normvorschrift XY verfehlt hat und er den Fehler daher korrigieren sollte.

  6. Hallo Herr Ghaffari,danke für diesen Artikel – Sie sprechen damit ein Thema an, dass auch mich momentan (wieder) bewegt & ich vor etlichen Jahren aus im Blog genannten Gründen die “Flucht” angetreten habe. Offensichtlich holen mich die unverarbeiteten Teile ein, weil ich es damals nach der Flucht für nicht notwendig erachtet habe, ein Coaching oder sonst was zu buchen … abgesehen davon war Coaching vor etlichen Jahren noch mehr Führungskräften vorbehalten!
    Ganz besonders gefällt mir Ihr nachfolgender Satz, weil damit die ungewollte Situation nicht zu verschwinden hat, sondern nach wie vor ihre Daseinsberechtigung haben darf, damit auch verstehbarer wird, und man somit eine andere Haltungslösung finden kann: Es bleibt womög­lich weiterhin eine unan­ge­nehme und unge­wollte Situa­tion, aber man spürt plötz­lich eine ange­nehme Distanz dazu, sie geht einem plötz­lich nicht mehr nah und man verliert nicht die Souveränität.

    1. Herzlichen Dank für Ihren Kommentar/ Ihr Feedback. Sie geben hier einen sehr wichtigen Hinweis,

      […] nicht zu verschwinden hat, sondern nach wie vor ihre Daseins­be­rech­ti­gung haben darf, […]

      der in unterschiedlichen Ausprägungen eine wichtige Rolle spielt: Einer der Tücken unseres Denkens basiert nämlich darauf, dass wir die Welt in falsch oder richtig, gut oder schlecht, Stärke oder Schwäche aufteilen. Damit fangen viele unserer Probleme erst an. Wenn wir beispielsweise uns über unsere Stärke freuen, übersehen wir leicht, dass wir einen Preis für diese Stärke zahlen. Da unsere Aufmerksamkeit nicht auf den Preis gerichtet ist, laufen wir Gefahr, dass der Preis subjektiv betrachtet zu hoch ausfällt. Beispielhaft sei eine Person genannt, die stets für andere da ist und dabei mehr Energie investiert als ihr eigentlich zur Verfügung steht.

      Auf den Punkt oben zurückzukommen: In der Tat, wenn unsere Aufmerksamkeit darauf gerichtet ist, dass etwas nervt und falsch ist, übersehen wir leicht, dass es einen Nutzen für uns hat – eine Daseinsberechtigung eben.

      Ich hoffe, dass Sie eine gute Lösung für Ihre aktuelle Situation finden. Ihnen kommt sicher zugute, dass das Coaching-Angebot zwischenzeitlich groß ist, so dass Sie sicher leicht eine passende Unterstützung finden werden.

      Viele Grüße

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