Künstler bzw. Handwerker verteilt Farben
Im geschäftlichen Kontext gilt m. E.: Künstler haben „Käufer“ und Handwerker haben „Kunden“! Welche Konsequenzen sind damit verbunden?
Im geschäftlichen Kontext gilt m. E.: Künstler haben „Käufer“ und Handwerker haben „Kunden“! Welche Konsequenzen sind damit verbunden?

Beauftragt Ihr Unternehmen einen „Künstler“ oder einen „kreativen Handwerker“?

7 Min.

Im wirtschaftlichen Kontext favorisiere ich als Abgrenzungskriterium: Künstler haben „Käufer“ und Handwerker haben „Kunden“! Welche Konsequenzen ergeben sich daraus?

Im Rahmen einer Betriebsprüfung stellte ich eines Tages fest, dass ich vor einigen Jahren wohl einen „Künstler“ als selbständigen Webdesigner mit der Neugestaltung meiner Website beauftragt hatte. Ich musste also die Künstlersozialabgabe abführen und den Verwaltungsaufwand nachholen.

Hätte ich damals auch einen freiberuflichen Texter mit der Neugestaltung der Website beauftragt, wäre dieser Auftrag vermutlich als Zukauf einer „publizistischen Tätigkeit“ abgabepflichtig gewesen.

Ich gebe zu: Damals fand ich das Ganze nicht so lustig.

  • Erstens, weil der von mir beauftragte Dienstleister mich nicht auf dieses Thema aufmerksam gemacht hat. Ich war also nicht darauf vorbereitet.

Eine diesbezügliche Aufklärung gehört aber m.E. bereits in das Auftragsklärungsgespräch des Anbieters – spätestens in sein Angebotsschreiben! Es ist kein seriöses Vorgehen, wenn ein Kunde erst dann auf zusätzliche Kosten und administrativen Aufwand aufmerksam wird, wenn diese plötzlich aus einer Torte springen und „Überraschung“ rufen.

  • Zweitens hatte ich wirklich nicht die Absicht, einen „Künstler“ zu beauftragen.

Vielmehr wollte ich jemanden beauftragen, der „sein Handwerk versteht“. Und ich war durchaus offen dafür, ob er sein „Handwerk“ eher funktional oder eher kreativ interpretiert (bei Interesse siehe die Intention, die mit der Einführung des Begriffs „Kunsthandwerk“ verbunden war).

Weiterführende Lektüre:

Kreativität und Innovation werden gerne als Synonyme verwendet. Das ist nicht nur schade, sondern auch höchst kontraproduktiv, denn was sie unterscheidet, ist meines Erachtens für den Berufsalltag sehr relevant.

Kreativität und Innovation – die zwei zankenden Geschwister“.

Was verbinden Sie mit dem Begriff „Künstler“?

Ob Maler, Sänger oder Schriftsteller, ich habe Freunde und Bekannte, die Künstler sind. Wann bezeichnet man sich als Künstler? Manch ein besorgter Elternteil mag diese Assoziation haben: Handwerker, die von ihrem Handwerk nicht leben können, nennen sich Künstler!

Nein, so einfach ist es nicht, auch wenn ich im Laufe der Jahre mitbekommen habe, wie unglaublich schwer es viele haben, als Künstler ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Deshalb ist die Künstlersozialkasse eine großartige Einrichtung.

Die eigentliche Problematik der Begriffsbestimmung ist viel differenzierter. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber für mich haben die Worte „Künstler“ und „Kunstwerk“ ganz bestimmte Konnotationen.

Ich erinnere mich gut an ein Gespräch mit einer Freundin, die sich mit Gesangsauftritten auf Hochzeiten, Firmenfeiern und ähnlichem (gut) über Wasser hielt. Sie träumte jedoch davon, eines Tages diese Auftritte mit einem Standardrepertoire aus Coverversionen hinter sich lassen zu können, um als „echte Künstlerin“ (ihre Worte, nicht meine!) mit eigenen Kompositionen ihren Lebensunterhalt verdienen zu können!

In ihrem Selbstverständnis war sie also keine „Künstlerin“, weil sie als freischaffende Sängerin ihren Lebensunterhalt verdiente. Nach der Definition der Künstlersozialkasse macht sie aber genau dieser Umstand zur Künstlerin.

Ein Künstler stellt den Kunstgenuss in den Vordergrund, nicht die praktische Funktion.

Das Selbstverständnis meiner Künstlerfreundin deckt sich nämlich mit der Konnotation, die das Wort bei mir auslöst. Mehr oder weniger: Kunst ist der freie und kreative Ausdruck eines Künstlers „von innen heraus“, ohne dass damit eine praktische Anwendung oder Funktion im Alltag verbunden sein muss. Kunstgenuss ist der Sinn und Zweck eines Kunstwerkes.

Diese Definition gilt m. E. analog auch für die Tätigkeit eines „Designers“!

Im wirtschaftlichen Kontext favorisiere ich persönlich als Abgrenzungskriterium: Künstler haben es mit Käufern zu tun – und Handwerker im eigentlichen Sinne mit Kunden!

Wenn Sie sich selbst als „Kunde“ wahrnehmen, sollten Sie sicherstellen, dass Ihr Gegenüber wirklich versteht, dass Sie 1) einen Auftrag erteilen wollen und 2) Sie mit diesem Auftrag eine ganz konkrete Erwartung hinsichtlich der Funktionalität verbinden.

Ein Anbieter kann sowohl als Künstler als auch als Handwerker tätig sein!

Und ein Künstler sollte sich vergewissern, dass er es tatsächlich mit einem Käufer und nicht mit einem Kunden zu tun hat. Wenn ein Künstler einen Auftrag von einem Kunden annimmt, dann ist er in diesem konkreten Fall ein Handwerker und sieht sich mit (berechtigten) Erwartungen an das Ergebnis seiner Arbeit konfrontiert. In diesem konkreten Fall wäre also weniger „Attitüde“ und mehr Professionalität in der Auftragsabwicklung durchaus wünschenswert.

Ist eine diesbezügliche einvernehmliche Rollenklärung zwischen beiden Parteien nicht gewährleistet, steigt die Wahrscheinlichkeit von Frustration und Ärger – auf beiden Seiten – deutlich an.

  • Ich habe Auftragnehmer erlebt, die sich wirklich als Künstler verstehen. Ich habe gesehen und wahrgenommen, wie sehr sie leiden, wenn sie im Auftrag anderer unter Zeitdruck „kreativ“ etwas produzieren müssen.
  • Und ich habe gesehen und wahrgenommen, wie sehr Kunden leiden, wenn ihr Gegenüber den Möchtegern-Künstler spielt, nur um von den eigenen Unzulänglichkeiten in der Auftragsabwicklung abzulenken.

Um Ihnen den Unterschied zu verdeutlichen, nehme ich das anschauliche Beispiel eines Goldschmieds.

Goldschmied als Handwerker versus als Künstler

  • Als Handwerker hat der Goldschmied mit Kunden zu tun und damit mit Zielgruppenbestimmung, Bedarfsanalyse, Positionierung und allem Pipapo.

Beispielsweise könnte er als Zielgruppe „wohlhabende ältere Menschen mit einem Haustier“ definieren. Das zielgruppengerechte Produkt könnte dann sein:

„Ich entwerfe für Sie ein Schmuckstück Ihrer Wahl mit dem Gesicht Ihres Haustieres“. Seine Flyer verteilt er unter anderem in Tierbestattungsunternehmen.

  • Als Künstler hat er „plötzlich“ das Bild eines Schmuckstücks vor Augen, das er dann entwirft und herstellt. Ob er dafür (später) einen Käufer findet, bleibt abzuwarten.

Er stellt seine Werke aus, und wer sie attraktiv findet, kauft sie. Er befragt und analysiert die Käufer und stellt fest, dass sein Schmuck oft von Teilnehmern an Mittelaltermärkten gekauft wird. Daraufhin wirbt er auf einschlägigen Veranstaltungswebseiten, mietet einen eigenen Stand auf solchen Märkten und lässt sich vor Ort zu neuen Designs inspirieren.

Handwerker versus Künstler im Unternehmenskontext

Auch Anbieter, die sich an Unternehmen richten, sollten sich m. E. dieser Differenzierung bewusst sein und sich entsprechend positionieren. Ein Beispiel: Luigi Colani, deutscher Designer, † 2019, hat sich wohl als „Künstler“ verstanden und auch so dargestellt. In Wikipedia kann man über ihn nachlesen:

„Mit zunehmendem Erfolg wuchs auch ein Anteil der Auseinandersetzungen mit den Industriekunden, die es gewohnt waren, dass ihre Vorstellungen vom Aussehen eines bestimmten Gegenstands unmittelbar und reibungslos umgesetzt wurden. Colani lehnte diese Vorgaben ab und bestand auf seiner Schöpfungsfreiheit. […]“

de.wikipedia.org

Gleiches gilt für Sie als Auftraggeber. Ob für Sie als Unternehmen „Kunst“ oder „Handwerk“ das Rennen macht, ist kontextabhängig und durchaus Ansichtssache.

Es gibt einige Bereiche, in denen mehr „Mut zur Kunst und zum Künstler“ angebracht wäre.

Wenn Sie beispielsweise Ihre Eingangshalle mit einer neuen Statue ausstatten wollen, können Sie natürlich klar kommunizieren, für welche Werte Ihr Unternehmen steht und welche Botschaft Sie den Besuchern mit der Statue vermitteln wollen. Der Auftragnehmer kann dann versuchen, all diese Vorgaben nach bestem Wissen und Gewissen in sein Kunsthandwerk einfließen zu lassen.

Alternativ können Sie einen Künstler engagieren und sich und Ihre Besucher einfach überraschen lassen, welche Inspirationen den Künstler zu welchem Kunstwerk geführt haben, nachdem er den Raum besichtigt und die Atmosphäre auf sich wirken lassen hat.

Wann steht die praktische Anwendung oder die Funktion im Alltag primär im Vordergrund?

Und es gibt auch Bereiche, in denen ich mich als Betrachter des Eindrucks nicht erwehren kann, dass weniger Pseudo-Kunst und mehr „Mut zu Rationalität und Funktionalität“ angebracht wären – aus ökologischen und/oder ökonomischen Gründen. Ein Beispiel wäre vielleicht die Architektur. Der eine oder andere Architekt, den ich im Laufe der Jahre kennen gelernt habe, versteht sich durchaus als Künstler.

Hier schließt sich der Kreis und wir sind wieder bei den beiden eingangs beschriebenen Tätigkeiten „Webdesigner“ und „Texter“. Den selbständigen Dienstleistern in diesem Bereich ist es mehr als zu gönnen, dass sie nach der Definition der Künstlersozialkasse als „Künstler“ in den Genuss guter Leistungen kommen.

Aber nein, „Künstler“ (im Sinne dieses Beitrags) sind sie sicher nicht. Bei diesen Dienstleistungen steht zweifellos die praktische Anwendung und Funktion im Alltag im Vordergrund. Sie sind gut beraten, ein gründliches Auftragsklärungsgespräch zu führen – auch um herauszufinden, ob der Auftraggeber ihre Dienstleistung eher funktional oder eher kreativ verstanden wissen will.

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Kommentare

2 Kommentare zu „Beauftragt Ihr Unternehmen einen „Künstler“ oder einen „kreativen Handwerker“?“

  1. Bei dem Artikel musste ich an meinen Onkel denken. Er war selbst Maler und hat sich mit seinen Kunstwerken einen Namen gemacht. Doch seine Leidenschaft wurde oft belächelt und nicht als ernsthafte Berufswahl angesehen. Trotzdem hat er nicht aufgegeben und sich stets weiterentwickelt. So zeigt auch der besagte Artikel, dass die Kreativbranche immer wichtiger wird und die Bedeutung von Kunst und Kreativität in unserer Gesellschaft ansteigt. Es ist daher wichtig, den Mut zu haben, seinen eigenen Weg zu gehen und seine Talente auszuleben – wie es mein Onkel als Maler getan hat.

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