Was meinen Sie, wenn Sie von „Qualität“ sprechen? Und wie passt ein Streben danach mit der Aufforderung zusammen, eine „Fehlerkultur“ in Unternehmen zu etablieren?
Was meinen Sie, wenn Sie von „Qualität“ sprechen? Und wie passt ein Streben danach mit der Aufforderung zusammen, eine „Fehlerkultur“ in Unternehmen zu etablieren?

Übersichtsseite Fachbeiträge

Wie hängen „Qualität“ und „Fehlerkultur“ zusammen?

8 Min.

Was meinen Unternehmen, wenn sie von „Qualität“ sprechen? Und wie verträgt sich das Streben nach Qualität mit der Forderung, in Unternehmen eine „Fehlerkultur“ zu etablieren? Und wie könnte eine solche Fehlerkultur aussehen?

Was verstehen Sie unter „Qualität“?

Wenn ich diese Frage an Ihre Mitarbeitenden richten würde, würde ich höchstwahrscheinlich Antworten aus einer dieser drei Kategorien erhalten. Qualität bedeutet:

  1. Unser Produkt besteht aus hochwertigen bzw. hochpreisigen Komponenten!
    • Plakativ: Ein Kochtopf aus Edelstahl ist ein Qualitätsprodukt, ein Kochtopf aus Aluminium nicht.
  2. Es ist „mehr“ drin als unsere Kunden erwarten!
    • Plakativ: Unser Backofen hat neben der Standardausstattung eine extra Pizzastufe, wird sehr schnell heiß, ermöglicht multidimensionales Kochen, hat ein leises Kühlgebläse und ist besonders leicht zu reinigen.
  3. Unser Produkt wird im Vergleich zum Marktstandard als echte Innovation und Produktneuheit wahrgenommen!
    • Ich denke, dass viele Anbieter von Smartphones und anderen elektronischen Geräten danach streben.

Weiterführende Lektüre:

Wo die Tücken einer Positionierung als Qualitätsführer liegen, können Sie bei Interesse in den Beiträgen „Magisches Dreieck & Ansätze der Positionierung im B2C“ & ff. nachlesen.

Welchen Preis zahlt man für das Streben nach Qualität?

Unabhängig von der Definition: Wenn Sie qualitätsbewusst sind und qualitätsbewusst handeln, ist Ihre Aufmerksamkeit typischerweise nach außen gerichtet, auf die Wünsche und Bedürfnisse Ihrer Kunden.

Sie fragen sich: „Was will mein Kunde?“ „Wie können wir das erreichen?“ Ihre engagierten Mitarbeitenden setzen alles daran, diese Erwartungen zu erfüllen.

Der Preis, den Sie als KMU dafür zahlen, ist nicht selten mangelnde Produktivität und Rentabilität, weil Sie Ihre eigenen unternehmerischen Grenzen nicht ausreichend kennen oder berücksichtigen.

Was bedeutet „Qualität“ im Qualitätsmanagement?

Dies ist der Übergang zur ISO-Definition von Qualität:

Grad, in dem ein Satz inhärenter Merkmale eines Objekts Anforderungen erfüllt.

Norm DIN EN ISO 9000:2015-11

In einfachen Worten ausgedrückt, sagt dieser sperrige Satz aus: Der Maßstab für Qualität ist das, was andere als Anforderungen an einen formuliert haben und was man als Auftrag angenommen hat.

  • Wenn andere von Ihnen einen Kochtopf aus Edelstahl wollen, dann eben einen aus Edelstahl. Wenn andere von Ihnen einen Aluminiumkochtopf wollen, dann eben einen Aluminiumkochtopf.

„Inhärent“ bedeutet dem Produkt innewohnend und objektiv nachvollziehbar – nicht von außen subjektiv hineininterpretiert. Mit anderen Worten: „Unsere Kunden wollen, dass wir schöne Produkte zu einem günstigen Preis herstellen“ ist keine brauchbare Anforderung. Wer sich darauf einlässt, hat schon verloren.

Ich verwende hier „andere“ als Platzhalter für die vage Formulierung „Anforderungen erfüllen“. Ich will damit deutlich machen, dass die Anforderungen nicht nur von Ihren Kunden kommen, sondern auch von Ihren Mitarbeitenden, Ihren Aktionären, dem Gesetzgeber und sogar der Öffentlichkeit.

Welche Qualität erwarten andere von Ihnen?

Und diese vielen Anforderungen sind nicht nur vielfältig, sondern zum großen Teil auch widersprüchlich und unverhältnismäßig. Es käme einer Sisyphusarbeit gleich, wenn Sie und Ihre tüchtigen Mitarbeiter versuchen wollten, sie alle unter einen Hut zu bringen und zu erfüllen.

Dies erklärt auch die häufig zu beobachtende mangelnde Produktivität und Rentabilität bei qualitätsbewussten Anbietern im Mittelstand.

Die Beschäftigung mit den Kundenbedürfnissen und den Reaktionen Ihrer Wettbewerber darauf ist also „nur“ Mittel zum Zweck. Der Zweck ist, dass Sie sich mit der Frage auseinandersetzen:

  • Was davon will ich erfüllen? Was davon kann ich realistischerweise erfüllen?

Und „erfüllen“ bedeutet eben nicht, dass Ihre Mitarbeitenden Überstunden machen und mit manuellem Mehraufwand immer wieder den Tag retten.

Erfüllen heißt vielmehr: sich intern so zu organisieren, dass die geforderte Qualität allen bekannt ist und immer und immer wieder genau so fehlerfrei produziert wird, wie vereinbart – von Maschinen und Menschen.

Was bedeutet „Fehlerkultur“?

Fehlerfrei ist das Stichwort. Denn wo Menschen zusammenarbeiten, passieren Fehler, d. h. der Ist-Zustand weicht vom Soll-Zustand ab.

Nach und nach entsteht in der Gemeinschaft eine Fehlerkultur: Die Art und Weise, wie die Gemeinschaft Fehler betrachtet, bewertet und mit ihnen umgeht.

Es scheint daher angebracht, sich im Folgenden etwas ausführlicher mit dieser Thematik zu befassen. Denn ich befürchte, dass in den gängigen Beiträgen zu diesem Thema drei Themenfelder vermischt werden, die meines Erachtens nicht vermischt werden dürfen.

Themenfeld 1: Wohin wollen Sie und welchen Weg könnten Sie gehen?

Sie haben sich mit den möglichen Kundenbedürfnissen auseinandergesetzt und dann Ihre Missionsaussage für sich selbst auf den Punkt gebracht: Für die Zielgruppe X wollen Sie Y produzieren, um damit Z zu erreichen.

Und aufgrund Ihrer Berufserfahrung und/oder Recherche glauben Sie zu wissen, welche Produkt-Preis-Politik erfolgreich sein wird und wie Sie sich intern organisieren müssen, um dieses Ziel zu erreichen.

Wenn man nicht dort ankommt, wo man hinwollte, muss doch ein „Fehler“ passiert sein, oder? Wie gehen Sie damit um?

So sieht eine weit verbreitete “Fehlerkultur” aus: Es werden Schuldige gesucht und an den Pranger gestellt. Bei dieser Fehlerkultur haben Ihre Mitarbeitenden Angst, kreativ etwas Neues auszuprobieren und machen nur noch Dienst nach Vorschrift. Sie kommen für jede Entscheidung zu Ihnen, um sich einen Persilschein ausstellen zu lassen.

Deshalb wird Ihr Innovationsmanager eine Fehlerkultur fördern, in der Fehler als Chance begriffen werden. Eine Kultur, die Ihren Mitarbeitenden nicht nur die Angst nimmt, sondern sie sogar motiviert, Fehler zu machen.

Denn er betrachtet in erster Linie das Innovationspotenzial des Fehlers.

Die Intention mag richtig sein, aber die Wortwahl geht völlig am Thema vorbei. Sie geht nämlich von der falschen Prämisse aus,

  • dass ein „Fehler“ vorliegt.
  • Dass es vorher eine echte, richtige Lösung gab.
  • Dass es sich also bei der gewünschten Lösung um einen etablierten Standard handelt.
  • Und dass man, wenn man die Lösung umsetzt, logischerweise zum gewünschten Ergebnis kommt.

In Wirklichkeit haben Sie es immer nur mit der Hypothese einer möglichen Lösung zu tun. Was Sie als „Umsetzung der Lösung“ bezeichnen, ist lediglich die (kontinuierliche) Überprüfung der Hypothese.

Nebenbei bemerkt: Es ist auch eine Hypothese, wenn Sie Ihrem Produkt über die Kundenanforderungen hinaus weitere Elemente hinzufügen, um es aufzupeppen und aufzuwerten.

  • Sie sollten darauf vorbereitet sein, diese Hypothese zu verwerfen. Denn wenn Ihre Kunden die Zutaten nicht zu schätzen wissen, können Sie die „Qualität“ nicht positiv beeinflussen.

Wenn man sich das bewusst macht, dann verschwindet das Wort „Fehler“, weil es im Zusammenhang mit der Überprüfung von Hypothesen keinen Sinn ergibt. Denn das Verwerfen falscher Hypothesen gehört einfach dazu und sollte das Selbstverständlichste der Welt sein.

Man braucht hier also keine „Fehlerkultur“, sondern nur das Vokabular und die Mentalität des „wissenschaftlichen Denkens“.

Themenfeld 2: Welche Qualität benötigen Sie, um Ihre Hypothese zu überprüfen?

Eine zwingende Voraussetzung für die Überprüfung einer Hypothese ist jedoch die Einhaltung einer vordefinierten Qualität, d. h. eines vordefinierten Standards.

Sie haben vielleicht angenommen, dass Ihre Kunden Ihr Produkt mit den genauen Maßen x mal y kaufen werden. Wenn Ihr Produkt jedoch aufgrund eines Produktionsfehlers die Maße x ± 0,1 hat, kann es für den Kunden unbrauchbar sein. Sie können Ihre Positionierungshypothese nicht überprüfen.

Darüber hinaus benötigen Sie korrekt erfasste Aufträge, korrekt hinterlegte Preislisten und viele weitere korrekt erfasste Daten.

An dieser Stelle wird sich Ihr Qualitätsmanager zu Recht zu Wort melden und Ihnen sagen: Die Fehlerkultur, die hier umgesetzt werden soll, ist eine Null-Toleranz-Strategie:

Das Bestreben, diesen Fehler in Zukunft zu vermeiden.

Themenfeld 3: Wie können Fehlerquellen identifiziert und behandelt werden?

Dazu müssen Sie sich ein Bild davon machen, wie der Fehler entstanden ist. Dabei gehen Sie und Ihr Qualitätsbeauftragter möglicherweise regelmäßig von einer falschen Prämisse aus: Nämlich, dass Sie die Zusammenhänge in Ihrem Unternehmen mit einer linearen Kausalität von Ursache und Wirkung beschreiben können.

Beispiel: „Person A, die für die Datenerfassung verantwortlich ist, hat den Fehler verursacht“.

Was höchstwahrscheinlich nicht stimmt, denn Ihre unternehmerische Realität ist komplex-kausal: Mehrere Ursachen haben mehrere Wirkungen, Wechselwirkungen und Rückkopplungen.

  • Musste die Person vielleicht unter Zeitdruck handeln?
    • Dann hat sie selbst dazu beigetragen, indem sie ihre Leistungsgrenzen nicht kannte, respektierte oder verteidigte.
    • Und auch andere im Unternehmen, die dazu beitragen, dass immer wieder ein unnötiger Zeitdruck entsteht.
  • Hat die Person vielleicht nicht die notwendigen Fähigkeiten & Fertigkeiten für eine solche Aufgabe?
    • Dann hat sie selbst dazu beigetragen, indem sie die Aufgabe trotzdem angenommen hat.
    • Und auch mindestens eine andere Person in Ihrem Unternehmen, die sie trotz fehlender Fähigkeiten & Fertigkeiten mit der Aufgabe betraut hat – möglicherweise ohne Einarbeitung, Aufsicht und Kontrolle.
  • Was ist mit den Managementfunktionen in Ihrem Unternehmen, die vakant sein könnten?
    • Definieren und kommunizieren, was „Qualität“ ist und wie sie „produziert“ wird.
    • Ressourcen- und Prozessmanagement betreiben, d. h. wissen und kommunizieren, wie viel Zeit für eine Tätigkeit benötigt wird und wie viel ein Prozess kosten darf.
  • Wie steht es mit der internen Kommunikation und dem internen Informationsaustausch? Haben auch sie dazu beigetragen?
  • Und wie steht es mit der Qualität Ihrer IT-Ausstattung? U. v. m.

Ihr Organisationsentwickler wird Ihnen diese Fehlerkultur empfehlen:

  • Ermutigen und befähigen Sie Ihre Mitarbeitenden, echte Fehler zu melden, anstatt sie aus Angst vor Konsequenzen zu vertuschen.
  • Weg von linearen Kausalanalysen und Schuldzuweisungen, hin zu einer ganzheitlichen Betrachtung möglicher Ursachen, Wirkungen, Wechselwirkungen und Rückkopplungen.

So produzieren Sie gemeinsam Qualität

… und bleiben dabei entspannt.


Autor:

Bleiben Sie informiert über neue Fachbeiträge, Kurse oder Veranstaltungen

eBooks, Hörbücher, Podcasts:

Titelbilder der beiden eBooks bei bookboon.com
→ bookboon.com

Um Ihre Prozesse & den Faktor Mensch in den Griff zu bekommen und Ihre Wirtschaftlichkeit nachhaltig zu steigern, benötigen Sie ein gutes Gespür für die Zusammenhänge der einzelnen Themen. In dem Beitrag “Menschen, nicht Software, optimieren Prozesse!” habe ich deshalb für Sie visualisiert, wie die Themen meiner bisherigen Fachbeiträge und Publikationen zusammenhängen. Schauen Sie doch mal rein!

Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Bleiben Sie informiert über neue Fachbeiträge, Kurse oder Veranstaltungen

Scroll to Top