Emotionen sind sehr nützlich, denn sie fördern richtiges Entscheiden und Verhalten. Sie können es aber auch - wenn man sie fehl interpretiert - verhindern.
Emotionen sind sehr nützlich, denn sie fördern richtiges Entscheiden und Verhalten. Sie können es aber auch - wenn man sie fehl interpretiert - verhindern.

Gehirnforschung: Emotionen verstehen

8 Min.

Wie Emotionen entstehen, wie wir sie wahrnehmen und interpretieren.

Ein Leben ohne Gefühle ist kaum vorstellbar. Aber was sind Gefühle? Wie entstehen Gefühle? Und vor allem: Wozu sind Gefühle gut?

Der Hirnforscher und Nobelpreisträger Eric Kandel sagte einmal: „Der spannendste Forschungszweig unserer Tage ist die Biologie der Emotionen“. Und nach Antonio Damasio, ein Neurowissenschaftler, der vor allem durch seine Arbeiten zur Bewusstseinsforschung bekannt wurde, sind Emotionen sogar die geheimen Regisseure unseres Alltags.

Fest steht: Emotionen sind keinesfalls lediglich ein tierisches Erbe der Evolution, das uns den Weg zu Weisheit und Vernunft verbaut. Vielmehr sind Emotionen sehr nützlich, denn sie fördern richtiges Entscheiden und Verhalten – können es aber auch, wenn man sie fehl interpretiert, verhindern.

Keine Entscheidung ohne Emotionen

Unser Gehirn ist die wohl komplexeste Struktur im Universum und es vollbringt unglaubliche Leistungen. Es sehnt sich nach Sternen oder einem saftigen Sauerbraten. Es flachst und flirtet, liebt und leidet. Es knackt Gleichungen und Geldschränke. Es ersinnt Symphonien und Schlachtpläne.

Diese und viele Leistungen mehr erbringt unser Gehirn aus unserer Sicht selbstverständlich, würde aber jeden Hochleistungscomputer zur Verzweiflung bringen, wenn dieser nur eine Ahnung davon hätte, was Verzweiflung ist.

Scheinbar chaotische elektrische Ströme rasen durch ein riesiges Netzwerk von Neuronen. Nehmen auf, was uns unsere 5 Sinne von draußen liefern, leiten weiter, verbinden Zellen, verändern Synapsengewichte und Reizschwellen. Alles, was wir denken, fühlen, lieben oder hassen geht von unserem Gehirn aus.

Aber genau diese in der Natur einmalige Fähigkeit – Emotionen zu empfinden – spielt uns in vielen Bereichen unseres Lebens einen Streich oder stellt uns vor scheinbar unlösbare Aufgaben.

Stellen Sie sich einmal folgende Situation vor:

Sie sind Chefarzt einer Klinik und haben Nachtdienst. Plötzlich erhalten Sie einen Anruf und erfahren, dass es auf der Bundesstraße einen Massenunfall mit 10 lebensgefährlich Verletzten gegeben hat, die mit Rettungswagen auf dem Weg in Ihre Klinik sind.

Emotionen: Feuerwehrmänner bei der Arbeit

Sie haben aber nur 6 freie Betten, 2 OPs und 2 Assistenzärzte zur Verfügung. Welche Patienten operieren Sie zuerst? Männer oder Frauen? Kinder oder Erwachsene? Alte oder Junge?

Und wie würden Sie entscheiden, wenn Sie bei der Einlieferung plötzlich feststellen, dass sich unter den Schwerverletzten Ihr Lebenspartner und Ihre 5-jährige Tochter befinden?

Wie auch immer Sie sich in diesen beiden Beispielsituationen entscheiden, eine Entscheidung ohne Emotionen ist nicht möglich. Und das trifft nicht nur auf solche Extremsituationen zu, sondern auf alle Situationen unseres Lebens zu, also auch im Beruf.

Wir verfügen über eine emotionale Alarmdatenbank

Einer der bekanntesten Hirnforscher im Bereich der Emotionen ist Joseph LeDoux. Nach LeDoux lösen emotionale Reize zwei Prozesse im Zentralnervensystem aus, die beide ihren Ursprung im Thalamus haben und danach jeweils entlang einer eigenständigen Route verlaufen.

1. Emotionaler Prozess

Emotionen: Emotionaler Prozess

Für das emotionale Prozessieren ist hauptsächlich die Amygdala zuständig.

Das emotionale Prozessieren ist der schnelle Abgleich des Reizes mit groben Reizmustern zur Kategorisierung als gefährlich/ungefährlich.

Diesen Weg nennt LeDoux “Quick and Dirty”. Er dient zur Vorbereitung schneller Reaktionen (z.B. Flucht) und ist fehleranfällig. Die Kategorisierung findet nicht auf Grundlage angeborener sondern erlernter Reizmuster statt.

Die Amygdala übernimmt also Reizmuster erfahrungsbedingt. Sie ist somit unser emotionales Gedächtnis.

2. Kognitiver Prozess

Den zweiten Prozess nennt LeDoux kognitives Prozessieren. Er dient zur Kontrolle der beim emotionalen Prozessieren gewonnenen Information und ist zeitaufwendiger. Dieser Prozess beginnt am Thalamus und verläuft über den Präfrontalen Cortex, sowie auf einer Nebenroute über den Hippocampus.

Was bedeutet dies nun für die Praxis: Wenn wir z.B. lernen uns vor etwas zu fürchten, also ein emotionaler Auslöser etabliert wird, werden zwischen bestimmten Zellgruppen unseres Gehirns neue Verknüpfungen gebildet.

Einen solchen Lernvorgang bezeichnet man als Konditionierung. Das Resultat des Lernvorgangs ist dann ein konditioniertes Netz. LeDoux bezeichnet ein konditioniertes Netz als Zellensemble (cell assembly). Diese Zellverbände, die also das Gedächtnis der erlernten Auslöser bilden, sind somit Aufzeichnungen dessen, was wir gelernt haben. Sie sind quasi eine emotionale Alarmdatenbank.

Wie uns wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, können wir lernen die Verknüpfungen zwischen diesen Zellverbänden und unserem Verhalten zu entkoppeln.

Der Auslöser aktiviert zwar weiterhin das etablierte Zellensemble, doch die Verknüpfung zwischen diesem und unserem emotionalen Verhalten lässt sich aufbrechen – zumindest für einen gewissen Zeitraum.

Wir mögen uns fürchten, aber wir laufen nicht davon.

Wir können auch lernen, die Verknüpfung zwischen dem Auslöser und den dazugehörigen Zellensembles zu unterbrechen, was zur Folge hat, das ein Gefühl erst gar nicht aufkommt.

Emotionen: Kognitiver Prozess

Dennoch bleiben die Zellverbände, also die Zellensembles, erhalten. Die “Datenbank” wird daher nicht gelöscht und somit auch nicht das Potenzial, erneut mit Auslöser und Reaktion verknüpft zu werden. Dies kann z.B. unter Stress geschehen. Der Auslöser wird reaktiviert, knüpft wieder Kontakte zum Zellensemble und die emotionale Reaktion bricht wieder aus. Dies alles ist möglich. Aber unser Nervensystem macht es uns nicht leicht, das, was uns emotional reagieren lässt, zu verändern.

Mit anderen Worten: Es ist sehr schwer und bedarf einer großen Anstrengung die Verknüpfungen zwischen einem für eine bestimmte Emotion spezifischen Zellensemble und einer emotionalen Reaktion, bzw. die Verknüpfungen zwischen Auslöser und Zellensemble aufzubrechen.

Erschwerend kommt hinzu, dass unsere emotionale “Alarmdatenbank” ein System ist, in das unablässig neue Varianten eingebaut werden. Es ist also ein offenes System. Aber es ist kein System, aus dem sich einmal aufgenommene Daten leicht entfernen lassen. Unser Emotionssystem ist aufgrund seiner biologischen Konstruktionsweise dafür angelegt, Auslöser zu konservieren und nicht sie zu entfernen.

Emotionen unterliegen keinem festen neuronalem Regelkreis

Verlassen wir nun einmal die Zellebene und schauen wir uns einmal an, was auf höherer Ebene, den Arealen geschieht, wenn uns z.B. die Wut packt. Im wesentlichen sind hierfür drei Instanzen verantwortlich:

  1. Abschnitte unseres Stamm- und Zwischenhirns regulieren unsere Motivationslage und Instinkte. Diese Abschnitte stellen sozusagen unser triebhaftes Fundament dar, auf der unsere Gefühle aufbauen. Außerdem ist hier der generelle Erregungszustand unseres Organismus verankert. Der jeweilige Erregungszustand bestimmt maßgeblich, wie leicht oder schwer wir uns ärgern lassen.
  2. Im limbischen System entstehen Emotionen, wie Wut oder Ärger. Sie entstehen hier zunächst als spontane, noch unbewusste Reaktionen auf bestimmte Reize. Das limbische System umfasst auch den Hypothalamus – eine Hirnstruktur, die zwar nur ca. 1% unserer gesamten Hirnmasse ausmacht, die aber großen Einfluss auf unsere Emotionen hat und die in enger Verbindung zur Hypophyse, der Hirnanhangdrüse, steht. Der Hypothalamus in Verbindung mit der Hypophyse, unserer wichtigsten Hormondrüse, kontrolliert das Wechselspiel unserer körpereigenen Signalstoffe. Hierdurch schaltet unser Organismus mitunter blitzartig auf Angriff: Stresshormone, wie z.B. Adrenalin bewirken dabei, dass unser Blutdruck und unser Puls rasant ansteigen, wichtige Organe besser durchblutet und mit Nährstoffen versorgt werden und unsere Haarbälge sich aufrichten. 
    Aber auch andere Hormone und Neurotransmitter kommen bei Wut oder Ärger ins Spiel. Noradrenalin wirkt hierbei ähnlich wie Adrenalin und beeinflusst – wie auch Dopamin – vor allem den Grad von Wachheit und Erregung. Auf diese Weise stellt sich unser Körper in wenigen Sekunden auf eine z.B. Wut auslösende Situation ein. Außerdem sorgt das limbische System dafür, dass unser Ausdruck auch dem emotionalen Erleben entspricht, was sich in Form von Stimmklang, Mimik und Gestik widerspiegelt.
  3. Die Großhirnrinde (Cortex) nimmt die oberste Stufe bei der Verarbeitung von Emotionen ein. Sie lässt uns Sinnesreize bewusst wahrnehmen und sie ist für kognitive Prozesse, wie Denken und Sprechen zuständig. Eine besondere Rolle für unser emotionales Erleben spielt hierbei der Frontalcortex, also der vordere, hinter der Stirn gelegene Teil der Großhirnrinde. Diesem Frontalcortex haben wir es zu verdanken, dass wir in der Lage sind einen Wut- oder Ärgerimpuls gegebenenfalls auch mal zu unterdrücken. Über unser Großhirn sind wir also in der Lage unsere emotionalen Reaktionen zu steuern.

Emotionen sind konservierte Erfahrungen

Eine weitere wichtige Rolle spielen Gefühle im Zusammenhang mit dem treffen von richtigen und falschen Entscheidungen. Wie rational und/oder emotional sind Entscheidungen, die wir treffen?

Emotionen: Damasios „Theorie der somatischen Marker“

Bereits in den 1990er Jahren hat Antonio Damasio eindrucksvoll demonstriert, dass menschliches Entscheiden, längerfristiges Planen und konsequentes Verfolgen von Plänen mit unserem emotionalen Bewertungssystem steht und fällt.

So hat er beispielsweise festgestellt, dass manche neurologischen Patienten trotz intakter Gedächtnisse und guter Intelligenz systematisch falsche Entscheidungen treffen und vernünftige Einsichten nicht in entsprechendes Verhalten umsetzen können.

Der Grund hierfür ist die emotionale Bewertung im präfrontalen Cortex. Fällt diese emotionale Bewertung z.B. aufgrund einer Störung aus, treffen die Betroffenen unvernünftige Entscheidungen. Ihnen fehlt das notwendige emotionale Gedächtnis für frühere vergleichbare Situationen, die einen wichtigen Teil unseres emotionalen Erfahrungsschatzes ausmachen. Emotionen sind also neben den bereits besprochenen Kriterien vor allem konservierte Erfahrungen.

Nach Damasio´s Theorie (“Die Theorie der somatischen Marker”) werden alle Erfahrungen eines Menschen emotional markiert. Trifft dann ein Mensch eine Entscheidung, erlaubt dies eine rasche, unbewusste Bewertung der gegebenen Situation.

Menschen mit einer Schädigung im präfrontalen Cortex hingegen können nicht mehr auf frühere Markierungen zurückgreifen und müssen folglich jede Situation neu bewerten. Emotionen sind also unabdingbar für zwischenmenschliche Interaktionen und Handlungen. Ohne Emotionen ginge uns die Grundlage für einen gelingenden Alltag völlig verloren.

Mit anderen Worten: Was wir sind und was wir tun, bestimmen wesentlich unsere Emotionen.

Quelle Bilder & Text: AFNB – Akademie für neurowissenschaftliches Bildungsmanagement

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